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Arie Goral Selbstportrait     Arie Goral Jugendbild

"Wohlgemerkt: eine jüdisch-deutsche und nicht eine deutsch-jüdische Jugend! Das ist ein weltenweiter Unterschied... Diese meine jüdisch-deutsche Jugend begann mit dem Tag, an dem ich im Jahre 1914 im Kindergarten zu spüren bekam, daß und warum ich als Jude nicht im Weihnachtsspiel das Christkind anbeten durfte. Vorher noch, 1913, winkte ich dem Kaiser, huckepack auf Vaters starken Schultern, mit einem schwarz-weiß-roten Fähnchen zu. Um uns herum schwenkten die Männer die Strohhüte und die Frauen die Sonnenschirme und tausendstimmig ertönte das "Heil Dir im Siegerkranz!" Dann zog Vater in den Krieg und kam als Hinkemann nach Hause. Es folgte etwas, das die Erwachsenen "Revolution" nannten. An die Schießereien von 1923 erinnere ich mich, sah irgendwo in Hammerbrook unter einer Plane zugedeckte Männer liegen, deren Blut in den Rinnstein rieselte. Ein Schupo mit geschultertem Gewehr befahl: "Junge, geh weiter!"


 

"Ich lief von Zuhause nach Berlin fort und erlebte im Theater am Nollendorfplatz Piscator und im Romanischen Café Else Lasker-Schüler, die ich dann nach Jahrhunderten als uraltes Hutzelweiblein in Jerusalem im Exil wiedertraf. Dann kamen die ersten Nazis, immer mehr Nazis und "Sieg Heil!", und ich ging zu den Bauern und wurde Knecht in der Landwirtschaft (in einem Kibbuz in der Nähe von Hameln, in dem sich die jungen Juden auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten). Nach Hamburg zurückgekehrt, volontierte ich als Buchhändler, wurde 1932 von SA-Leuten in den Colonnaden zusammengeschlagen. Am 8. März sah ich die große Hakenkreuzfahne am Rathausmarkt hochgehen und Hunderttausende "Hurraa! Hurraaa! Sieg heil!" grölen. So lernte ich, Deutschland rechtzeitig zu verlassen. Mit meiner Emigration endete meine jüdisch-deutsche Jugend. Meine Geschichte ist eine Liebeshaßerklärung an meine Heimatstadt. Sie ist zum Lachen, und wenn man will, auch zum Traurigsein, nicht nur wegen der vertriebenen und ermordeten Juden."

   

     

"Meine Existenz als Jude in Deutschland wird entscheidend geprägt von dem Geschehen in der jüngsten deutschen Vergangenheit. Diese Vergangenheit lebt in und mit mir mit als stets weiterwirkende präsente Gegenwart. Was für die meisten Deutschen der Bundesrepublik versunkene Vergangenheit ist, bestimmt mein Leben und Denken und macht mir möglich, diese Vergangenheit zu begreifen – soweit das überhaupt gelingt. Zur Resignation habe ich kein Recht und kein Talent. Ich lebe in Deutschland, aber ich liebe es nicht mehr. Im Hause der Henker soll man nicht von der Liebe reden. Aber ich liebe immer noch Bach und Brahms, Hölderlin und Heine. Sie gingen mit mir in die Emigration und kehrten mit mir zurück."


Arie Goral im Alter
Foto: Enno Kaufhold
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